Biographisches | Neschville

★ Die Karawane zieht weiter ★

Wer steckt hinter dem Kölschen Karnevalshit Die Karawane von den Höhnern?

Narrenkappe

Bemerkungen zu dieser tiefschürfenden Frage reichen von: Zwei Mädels ist ne Textzeile eingefallen und die Höhner hamm dann das Lied draus gemacht. bis zu:

Sag mal, Du hast doch den Song »Die Karawane zieht weiter, der Sultan hätt Dosch« geschrieben. Biste jetz nich Millionärin?
Weder das eine noch das andere trifft ins Schwarze.

Vorgeschichte
Seit meinen Teenagertagen habe ich mich gern und intensiv mit dem beschäftigt, was heutzutage Weltmusik genannt wird. Zu jener Zeit hieß das noch Folklore. Später studierte ich u.a westafrikanische Literatur in französischer Sprache und kam so verstärkt in Kontakt mit afrikanischer Musik.

1993/94 leitete ich einen Chor namens WirrSing
Auf das übliche Repertoire Grüner Kaktus & Co. hatte ich keine Lust, also arrangierte ich weniger bekannte Titel für den Chor und schrieb eigenes Material. Aus aller Frauen Länder war etwas dabei: Italien, Südamerika, England, Neuseeland, Schweden. In allen möglichen Sprachen sangen wir, nur nicht in meiner Muttersprache: Kölsch.

Klare Schieflage - so ging das nicht weiter. Was Kölsches musste her, aber nichts à la Bläck Fööss oder Ostermann. Was Eigenes. Grübel.

Monica Rydell, meine damalige Musikkollegin und ich auch bekannt als die Garlick Girls
fuhren im Auto über die Nord-Süd-Fahrt. Dun mer ne Klore, hammer nit hammer nit hammer nit, nä wat ene Driss wat ene Driss, wo jit et denn esu jet... sang ich vor mich hin und die Bajuwarin Monica fiel mit ein. Bald kristallisierte sich ein Thema heraus. Wir sangen und sangen und sangen, wie Sängerinnen on the Road das so tun. Textschnipsel und Melodie gingen mir in den nächsten Tagen nicht mehr aus dem Kopf und so schrieb ich ein amtliches Arrangement für:

WirrSing
Mit meinem inneren Ohren hörte ich einen riesigen Chor von Frauen, mit kräftigen Stimmen nach Art der südafrikanischen Frauenchöre, die Verse wieder und wieder in wilden Windungen und Schleifen wogend und wankend übereinander untereinander kreuz und queer singend sich in Trance wiegend bis der Gesang in einen taumelnden Schlussvers münden würde:

Jommer in en andere Kaschemm!

Zugegeben: ganz so wild und ekstatisch ging es bei der Uraufführung im Juni 1994 im Schulz nicht zu. Deutsche Frauen singen oft eher zaghaft, aber es war eine spaßige Singerei. Die Wiever im Publikum freuten sich über die Mini-Klore-Fläschchen, die es fürs Erraten der Sprache sowie der einzelnen Verse gab.

Weil ich die Vision hatte, die Bläck Fööss könnten das Lied irgendwann einmal, wiedervereint mit Tommy Engel sowie Marie Louise Nikuta und den Mahotella Queens auf der Domplatte singen, bastelte ich einen rudimentären Demotrack und die Garlick Girls sangen in einem Studio im hohen Norden die Vocals dazu ein. (In Büdelsdorf, wo sie einem aufstrebenden tschechischen Schlagersänger beim Einsingen eines schwierigen deutschen Liedes halfen.)

Und weiter? Hierzu aus einem Artikel der Kölner Stadtrevue

Bis die Karawane auf Platz 1 der deutschen Charts zog, war es ein weiter Weg. Der damit begann, dass die Höhner in einem Branchenfachblatt inserierten, um an Material für neue Titel zu kommen.
Wir inserieren regelmäßig und bekommen so pro Woche circa zehn Musikstücke zugeschickt, Musik-Kassetten oder Texte oder Noten, erläutert Fröhlich das Prozedere, vom Hausmütterchen bis zum gestandenen Udo-Jürgens-Texter reicht die Bandbreite der Autoren, und dann gehen wir die Sachen in unserem Ehrenfelder Büro in regelmäßigen Meetings durch.

Vor fünf Jahren fiel den Musikern dabei ein Tape auf, auf dem zwei Frauen immer wieder in eigenwillig orientalischem Singsang zwei Sätze wiederholten: Dummer nit, dummer nit, dummer nit klage, hammer nit, hammer nit, hammer nit ... Das blieb in den Höhnerohren hängen, und damit war der erste Schritt zur ersten Goldenen Schallplatte getan.

Bei den Frauen handelt es sich um Monika Riedel und Martina Neschen, TV-Produzentin und Buchautorin die eine, Texterin und Bühnenkünstlerin die andere und alle beide Country-Fans.

In etlichen Proben und Auftritten wurde an dem Lied gefeilt, bis es endlich der Hit der Saison war. So gesehen arbeitet an unseren Stücken auch immer das Publikum mit, schieben Fröhlich und Werner hinterher.

Quelle: StadtRevue Ausgabe 03/03 - Jeder kann mit jedem - Karnevalsmusik

Es waren schon ein paar Sätze mehr und es hieß auch nie: Dummer nit klage sondern immer schon: Dummer ne Klore! Von Anfang an ging's um Schaubau!

Sultan CSD
Der Sultan auf dem CSD 1998 © M.Neschen

Dummer ne dummer ne dummer ne Klore
Hammer nit hammer nit hammer nit hammer nit
Wo jit et denn esu jet wo jit et denn esu jet
Wo jit et denn esu jet esu jet
Oh je su ne Driss su ne Driss su ne Driss su ne Driss
Jommer in en andere Kaschemm schemm!

Wir sind übrigens beide SongschreiberInnen, will heißen:
wir komponieren auch die Musik zu unseren Texten. Ansonsten korrekt.

Soweit so gut, die Höhner hörten Orientalisches und was hörte der Lehrbeauftragte für Tonsatz von der Kölner Musikhochschule?

Die Karawane darf durchaus als Meilenstein des kölschen Liedguts gelten: mehr als fünfundzwanzig Jahre nachdem es den Bläck Fööss zum ersten Mal gelungen war das Karnevalslied aus dem engen Korsett von Marsch, Walzer und bestenfalls noch Foxtrott zu befreien, konnte die Mundart-Band Höhner dem kölschen Lied eine neue Dimension abgewinnen.

Dass man darauf so lange warten musste, verwundert nicht: die Tradierung in musikalischen Volkskulturen (wie dem Karneval) trägt stark konservative Züge und ist dem Neuen gegenüber eher skeptisch.

Neue Lieder, die ins Repertoire etwa des närrischen Volkes übergehen wollen, müssen sich zunächst einmal in den elementaren Bereichen Text und Melodie von bereits etablierten Liedern absetzen ...

Karnevalslieder werden...häufig spontan und ganz ohne Begleitung gesungen...und müssen stets auf Anhieb erkennbar sein sowie dauerhaft unverwechselbar bleiben...

Eine erste Voraussetzung erfüllt Die Karawane: Ihre Melodie ähnelt keinem anderen bekannten Karnevalslied. Darüber hinaus ist auch die Art des Umgangs mit der Melodie neuartig: Nicht nur der Refrain, auch die Strophe ist als Mitsing-Abschnitt in der Art eines Responsoriums gestaltet...

Leven Jott nä Responsorium Call and Response, eines der Merkmale afrikanischer Musik, auf erzwungen verschlungenen Wegen bis in den Blues hinein sich fortsetzend. Neu also nicht, aber offensichtlich gefällt auch KölnerInnen was AfrikanerInnen seit langem schätzen. Und weiter:

In einem Lied, dass im Kölner Karneval Erfolg haben soll, sind eine ur-kölsche Thematik sowie Bezüge zum Karneval unabdingbar... Verbfüffenderweise tauchen die sonst so häufigen Versatzstücke (Kölsch, Dom Karneval. Rhein usw.) überhaupt nicht im Text auf, und auch musikalisch haben es die beiden Autorinnen, Monica Rydell und Martina Neschen, gekonnt vermieden, einen der für den Karneval typischen Klatschmärsche oder Schunkelwalzer zu verfassen.

Zitat Ende (Warum die Karawane immer weiter zieht - von Guido Brink)

Is ja echt ein Ding, dass mal jemand so klug über ein Fastelovendslied schreibt!

Jetzt dürfte klar sein, warum verblüffenderweise die sonst so häufigen Vesatzstücke nicht auftauchen.

Die AutorInnenschaft hingegen ist mal wieder nicht korrekt benannt: wir sind lediglich die Ur-Autorinnen. Refrain und Bridge (das mit Nathan dem Weisen) sowie minimal textliche Änderungen in den Strophen stammen von den Höhnern. Ehre wem Ehre gebührt und darum soll noch einmal Guido Brink zu Wort kommen:

So wichtig dies alles ist - der Erfolg eines solchen Liedes wäre ohne gewisse Verbreitungsmechanismen nicht möglich: nur eine große, etablierte Band...hat die Möglichkeit, einen guten Song überhaupt angemessen publik zu machen... Dennoch bleibt stets - und das ist beruhigend - ein Hauch von Unkalkulierbarkeit darüber, ob ein neues Lied nun wirklich den Nerv des Volkes" trifft.

Quelle: Warum die Karawane immer weiter zieht - von Guido Brink; Journal, Zeitschrift der Hochschule für Musik Köln, Sommer 1999:

Auf welch verschlungenen Pfaden wandelt doch Frau Fortuna!
Nicht im Traum hätte ich bei der Uraufführung von Dun mer ne Klore im Schulz daran gedacht, dass diese dadaistischen Gaga-Gesänge dereinst Quell eines erfolgreichen kölschen Karnevalsschlagers sein würden.
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